Integration gestalten – gestern und heute

Mit seinen Fotografien gibt Ergun Çağatay der Zuwanderung ein Gesicht: Sie zeigen die Arbeitswelt sowie das Gemeinschafts- und Familienleben der Menschen, die in den 1960er Jahren zur Arbeit im Steinkohlenbergbau aus der Türkei nach Deutschland kamen. Mit der Förderung der Sonderausstellung „Wir sind von hier“ auf dem UNESCO-Welterbe Zollverein schlägt die RAG-Stiftung eine wichtige Brücke in die Gegenwart: zu den Kindern und Enkeln derer, die im Rahmen des deutsch-türkischen Anwerbeabkommens ins Ruhrgebiet migrierten.

Bild oben: Integration aus Tradition

Nach Ankunft der türkischen Gastarbeiter Anfang der 1960er Jahre lag ein wesentlicher Schwerpunkt darin, die Aus- und Weiterbildung sowie die Sprachfähigkeit der Neuankömmlinge zu fördern. © RAG-Archiv

Das Thema Integration ist untrennbar mit dem Steinkohlenbergbau verbunden, denn schon immer haben Kumpel aus vielen verschiedenen Nationen zusammengearbeitet. Die gelebte Solidarität, die unter Tage lebensnotwendig war, trug dabei über die Jahrzehnte wesentlich zur gelingenden Integration auch über Tage bei. So entwickelte sich das Ruhrgebiet mit seinen über fünf Millionen Einwohnern zu einem Schmelztiegel der Kulturen. Und auch heute haben die bergmännischen Werte nicht an Relevanz verloren, im Gegenteil: Solidarität, Zuverlässigkeit, Zusammenhalt, Toleranz und gegenseitiges Vertrauen sind als essenzielle Grundpfeiler für ein gutes Miteinander in der Gesellschaft wichtiger denn je.

Sonderausstellung „Wir sind von hier“

Die Fotoaufnahmen von Ergun Çağatay zeigen die Arbeitswelt und das Gemeinschaftsleben der Menschen, die aus der Türkei nach Deutschland kamen. © Ruhr Museum/Andrea Kiesendahl

Anwerbeabkommen mit der Türkei

Mit Blick auf die Historie des Steinkohlenbergbaus kommt dem deutsch-türkischen Anwerbeabkommen aus dem Jahr 1961 eine besondere Bedeutung zu: Es war das letzte, aber auch das bedeutendste Abkommen in einer Reihe von internationalen Verträgen, die ab den 1950er Jahren der florierenden Nachkriegswirtschaft der Bundesrepublik die dringend benötigten Arbeitskräfte sicherten. Allein durch das Anwerbeabkommen mit der Türkei gelangten mehr als eine Million sogenannter Gastarbeiter nach Deutschland, die zunächst nur der Arbeit wegen kamen, dann aber blieben und vor allem in den Bergarbeitersiedlungen ein neues Zuhause fanden. In den 1980er Jahren machten die türkischstämmigen Kumpel den Großteil der Gastarbeiter im Ruhrbergbau aus. Tausende weitere kamen unter anderem aus Italien, Spanien, Polen oder dem ehemaligen Jugoslawien.

REVAG leistete Pionierarbeit

Unterstützung zur gelingenden Integration gab es zu dieser Zeit von der Revierarbeitsgemeinschaft für kulturelle Bergmannsbetreuung, kurz REVAG. Die Fachstelle leistete Pionierarbeit: Sie führte Gastarbeiter aus ihrer sprachlichen und kulturellen Isolation, schaffte Vertrauen zwischen Zuwanderern und Einheimischen und eröffnete Chancen für eine gleichberechtigte Teilhabe von Migranten am sozialen, politischen, kulturellen und gesellschaftlichen Leben. Eine besonders wichtige Rolle spielte dabei die Aus- und Weiterbildung der Gastarbeiter und ihrer Familien – insbesondere mit Blick auf die Sprachförderung.

Wurden zunächst vorrangig in den Männerwohnheimen Förderangebote initiiert, gab es bald auch spezielle Angebote für Frauen und Kinder. An diese Tradition knüpft die RAG-Stiftung an, wie Vorstandsmitglied Bärbel Bergerhoff-Wodopia erläutert: „Die RAG-Stiftung trägt durch ihre Förderungen bis heute zu einer gelingenden Integration zugezogener Menschen bei. Dabei stehen insbesondere Mütter und ihre Kinder im Fokus unseres Förderengagements, da berufstätige Frauen wichtige Vorbilder für ihre Kinder und damit ein Teil der Zukunftsgesellschaft in der Region sind.“

Vom Gastarbeiter zum Einwanderer
Einen geregelten Zustrom türkischer Arbeiter sicherte das Anwerbeabkommen aus dem Jahr 1961. © RAG-Archiv
Werte vermitteln
Auch die Förderung des bergmännischen Kulturguts war fester Bestandteil der Integrationsarbeit. © RAG-Archiv

Begegnung, Austausch und berufliche Integration

Die Teilhabe von Frauen und Kindern bildete einst einen wesentlichen Bestandteil der Migrationsarbeit. Dieses Werteverständnis prägt heute auch die Kreativ- und Lernwerkstatt „nouranour“. © nouranour

Integration durch Bildung und Sprachförderung

Wie die RAG-Stiftung durch ihre Bildungsförderung kulturelle Werte vermittelt, die der Bergbau hervorgebracht hat, zeigt beispielsweise das Projekt „nouranour“ in Witten. Die Kreativ- und Lernwerkstatt ermöglicht berufliche Chancen und Bildung, vor allem für Mütter mit Migrationshintergrund. Das Ziel lautet, Raum und Möglichkeiten für Begegnungen, Austausch, berufliche Integration sowie gesellschaftliche und wirtschaftliche Teilhabe zu schaffen. Die Angebote schließen auch die Kinder der Frauen mit ein.

Mehr Informationen

Ein wesentlicher Bestandteil gelungener Integration liegt zweifellos auch in der Sprachförderung. Je früher hier angesetzt wird, desto größer ist der positive Effekt auf die Bildungslaufbahn der Kinder. Mit der Förderung von „Zukunft früh sichern“ (ZUSi) initiierte die RAG-Stiftung gemeinsam mit der Stadt Gelsenkirchen ein Projekt, das armutssensibles Handeln in der Kita schult und damit ganz am Beginn der Bildungskette ansetzt. Hier ist die gezielte Sprachförderung ein wichtiges Element.

Mehr Informationen

Fotoausstellung zeigt deutsch-türkische Lebenswelten

Mit der Förderung von „Wir sind von hier. Türkisch-deutsches Leben 1990. Fotografien von Ergun Çağatay“ unterstützte die RAG-Stiftung im Jahr 2021 ein Kulturprojekt, das die hier beschriebenen historischen Entwicklungen der Region und das damalige Leben der Türken in Deutschland anschaulich vermittelt. Anlässlich des 60. Jahrestags der Unterzeichnung des deutsch-türkischen Anwerbeabkommens zeigte das Ruhr Museum auf dem UNESCO-Welterbe Zollverein von Juni bis Oktober 2021 eine umfangreiche Werkschau. Diese umfasste die 120 beeindruckendsten Bilder des renommierten türkischen Fotografen Ergun Çağatay (1937–2018), die auf einer Reise durch Deutschland im Frühjahr 1990 entstanden sind. Insgesamt machte Çağatay etwa 3500 Aufnahmen und schuf damit die umfangreichste heute existierende Bildreportage zur türkischen Einwanderung in Deutschland.

Mehr Informationen

Auch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier besichtigte die Ausstellung im September 2021 und betonte im Anschluss an den Rundgang: „Wir sollten nicht mehr darüber reden, dass wir Menschen mit Migrationshintergrund haben, sondern wir sind über die Jahre ein Land mit Migrationshintergrund geworden: Vielfältiger, offener – aber ohne diese Menschen wäre manches an Wohlstand in unserem Land nicht zu erklären; und das immer wieder zu erinnern, dazu dient auch eine solche Ausstellung.“

Die Macher hinter der Ausstellung

In der ersten Reihe (von rechts): Bärbel Bergerhoff-Wodopia (Mitglied des Vorstands der RAG-Stiftung), Michelle Müntefering (Staatsministerin für Internationale Kulturpolitik im Auswärtigen Amt und Schirmherrin der Ausstellung) sowie Prof. Heinrich Theodor Grütter (Direktor des Ruhr Museums und Mitglied des Vorstands der Stiftung Zollverein). © Ruhr Museum/Peter Wieler

Delegation auf Zollverein

Zum 60. Jahrestag des Anwerbeabkommens besuchten Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und seine Ehefrau Elke Büdenbender (Mitte) das UNESCO-Welterbe Zollverein. © Ruhr Museum/Christoph Sebastian

Blick in die Ausstellung „Wir sind von hier“

Der Bereich zeigt Fotografien von dem türkisch-deutschen Leben in Duisburg. © Ruhr Museum/Andrea Kiesendahl

Brücke in die Gegenwart

Neben den Fotografien beinhaltete die Ausstellung in der ehemaligen Kohlenwäsche acht Video-Interviews mit Zeitzeugen sowie eine mediale Installation. Darüber hinaus gab es ein vielfältiges Begleitprogramm mit Kulturveranstaltungen und Vorträgen, das zum Beispiel durch Koch-, Tanz- und Graffiti-Workshops eine lebendige Verbindung zum heutigen deutsch-türkischen Leben in der Region herstellte. Die Bedeutung des Kulturprojekts unterstreicht auch Bärbel Bergerhoff-Wodopia: „Mit der Förderung dieses Projekts schlägt die RAG-Stiftung eine wichtige Brücke in die Gegenwart: zu den Kindern und Enkeln derer, die 1961 nach Deutschland kamen. Sie haben Deutschland nicht nur wirtschaftlich geholfen, sondern auch kulturell bereichert.“

Die Ausstellung auf einen Blick
  • Sonderausstellung: „Wir sind von hier. Türkisch-deutsches Leben 1990. Fotografien von Ergun Çağatay“ mit begleitender Monografie und einem umfangreichen kulturellen Rahmenprogramm
  • Projektpartner: Ruhr Museum
  • Anlass: 60. Jahrestag der Unterzeichnung des deutsch-türkischen Anwerbeabkommens
  • Ort: ehemalige Kohlenwäsche/12-Meter-Ebene auf dem UNESCO-Welterbe Zollverein
  • Ausstellungszeitraum: 21. Juni 2021–31. Oktober 2021
  • VERANSTALTUNGSORTE: Essen, Hamburg, Berlin, Istanbul, Ankara und Izmir
Video-Rundgang durch die Ausstellung "Wir sind von hier. Türkisch-deutsches Leben 1990. Fotografien von Ergun Çağatay". © Ruhr Museum/Marie Heiliger
Unser Mandat verpflichtet zur Nachhaltigkeit
Im BRYCK Tower sprechen die Vorstände Bernd Tönjes, Bärbel Bergerhoff-Wodopia und Dr. Jürgen Rupp über die Herausforderungen des Geschäftsjahres 2021.
Mehr lesen
Vom Industriestandort zum Zentrum für Innovation
Das von der RAG-Stiftung initiierte Innovations- und Gründerzentrum BRYCK in Essen steht stellvertretend für die Transformation der Region.
Mehr lesen
Der Stiftungskonzern – ein innovatives und nachhaltiges Modell
Mit ihren zukunftsorientierten Geschäftsmodellen leisten die strategischen Beteiligungen der RAG-Stiftung einen wichtigen Beitrag zur Finanzierung der Ewigkeitsaufgaben.
Mehr lesen
Vorausschauend investieren
Die RAG-Stiftung verfolgt eine Anlagestrategie mit Weitblick: rentabel, sicher und robust.
Mehr lesen
Bildung als Schlüssel zur Zukunft
Das Lernportal „PepperMint“ will Spaß an MINT-Themen vermitteln und Wissenslücken schließen.
Mehr lesen
Mit der Wissenschaft Lösungen entwickeln
Im Rahmen des Projekts „MuSE“ optimiert das Forschungszentrum Nachbergbau das Wassermanagement in den ehemaligen Bergbauregionen.
Mehr lesen